Vortrag auf Französisch von Michel Jacquet aus Bourges.
„Boches“ und Mitläufer: Vom Feindbild zur Selbstwahrnehmung im französischen Film
„Travelling“ ist ein Fachausdruck der Filmleute und bedeutet „Kameraschwenk“ bzw. „ruhige Fahrt mit der Kamera“. „Travelling“ heißt auch eines der Bücher des Historikers Michel Jacquet aus Bourges, zu dem er vor einem zahlreichen Publikum im Zeughaus einen sehr beachtenswerten Vortrag hielt. Gegenstand der „ruhigen Fahrt mit der Kamera“ war die immer noch aktuelle und emotional wirksame Sicht der Jahre der deutschen Besatzung Frankreichs in den Jahren 1940 bis 44 im französischen Film. In einem auf französisch und völlig frei gehaltenen Vortrag breitete Michel Jacquet die Erkenntnisse seiner intensiven Beschäftigung mit dem Thema aus, um diese dann noch mit ein paar eindrucksvollen Filmsequenzen zu belegen. Die Grundaussage: Im Kinofilm, der wohl repräsentativer für eine breit akzeptierte öffentliche Einschätzung ist als etwa die Literatur, hat sich in Frankreich im Laufe der letzten Jahrzehnte die Auffassung zu diesem Problem fundamental verändert. Unmittelbar nach 1945 ging es natürlich um die Abgrenzung vom deutschen Feind und den angeblich erheblichen Anteil der Franzosen selbst an der Befreiung ihres Landes von Naziherrschaft und faschistischer Kollaboration. De Gaulles Politik der Versöhnung und Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik führte in den 60er Jahren zu einer bewussten Aufwertung des Bildes der Deutschen, v.a. auch der Soldaten der Wehrmacht, z.T. in der Form burlesker Verharmlosung wie etwa in der „Großen Sause“ mit Bourvil und Louis de Funès. Das schlimme Schicksal der französischen Juden und auch ausländischer Immigranten als Ergebnis einer verhängnisvollen Kollaboration mit dem Besatzungsregime tauchte allenfalls am Rande auf. Gerade dies ist in den letzten Jahren zum zentralen Thema geworden – etwa in dem Film „Die letzte Metro“ oder „Monsieur Klein“. Der deutsche Gegner taucht kaum mehr auf und die Filme erzwingen eine schmerzhafte innerfranzösische Analyse der opportunistischen Entsolidarisierung gegenüber den jüdischen Mitbürgern und mündeten in der Anerkennung des eigenen Anteils an der moralischen und politischen Katastrophe. Den Zuhörern des Vortrags wurde bewusst, wie wenig doch von diesem Prozess bei uns in die Kinos herübergekommen und ins allgemeine Bewusstsein eingedrungen ist. Auch hier wäre wohl durch die beiderseitige Erzählung der jeweiligen Biographien mehr Gemeinsamkeit zu erzielen. – Eine ermunternde Nebenbemerkung des mit viel Beifall bedachten Referenten zum Publikum, in dem sich auch viele Jugendliche befanden: In Frankreich wäre es wohl schwieriger gewesen, eine so große Hörerschaft für einen auf Deutsch gehaltenen Vortrag zusammen zu bringen – ein Kompliment nicht nur für die Deutsch-Französische Gesellschaft in Augsburg und ihren Präsidenten Klaus Sturm, sondern nicht zuletzt auch für die Französischlehrerinnen und -lehrer und ihre Schüler der Gymnasien in Augsburg und dem Augsburger Umland. (VS)